Rassismus – Meine Gedanken heute Abend

Bilal Gaidenko -Hamburg

Afrodeutsch

Rassismus – Meine Gedanken heute Abend Bevor ich meinen Artikel richtig anfange, möchte ich erwähnen, dass ich ein fünfzehnjähriger, afrodeutscher Junge bin und in die 9. Klasse eines Gymnasiums mit überwiegend weißen Schüler*innen gehe.

Wie wahrscheinlich jede afrodeutsche Person bin ich tagtäglich von Rassismus betroffen und muss mich eigentlich jede Sekunde mit seinen Folgen auseinandersetzen.

Wie wahrscheinlich jede Schwarze Person bin ich gelähmt von den Bildern und den Videos aus den Vereinigten Staaten, die vor allem seit Frühling diesen Jahres in den sozialen Netzwerken, insbesondere auf dem Onlinedienst Instagram, millionenfach geteilt werden und viral gehen. Ich habe die letzten Worte von George Floyd gehört, die letzten Schritte von Ahmaud Arbery gesehen und den allerletzten Tweet von Breonna Taylor gelesen.

 Wie wahrscheinlich von jeder Schwarzen Person sind meine Schmerzkapazitäten zurzeit aufgebraucht.

Wie wahrscheinlich jede Schwarze Person fühle ich mich zurzeit sehr müde und kraftlos. Ich bin schockiert und trotzdem ist es mir bewusst, dass ihre Tode keine Einzelfälle sind. Ein Afroamerikaner bin ich nicht, habe die Erfahrung auch nicht gemacht in Amerika aufzuwachsen und zu leben, also kann ich dem in keinster Weise gerecht werden, über den Rassismus dort zu reden. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden über die Auseinandersetzung mit Rassismus in Deutschland, meiner Wahrnehmung und meine Anregungen zu sprechen.

Zu allererst möchte ich sagen, dass ich weiß, dass Rassismus in Deutschland auch tötet. Schwarze Menschen sterben an den Konsequenzen von Rassismus: Sie nehmen sich das Leben, kommen in Polizeigewahrsam um, werden von Polizist*innen erschossen oder sterben an den Folgen von Überfällen ausgeübt von Neonazis. Viel zu oft, also eigentlich immer ist die Rede von einem Einzelfall, Selbstverteidigung oder es wird einfach über den Vorfall geschwiegen.

In meinen Augen geht die Mehrheit der weißen, deutschen Gesellschaft falsch mit Rassismus und seiner Auseinandersetzung um. Seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten diskutieren wir, ob Rassismus in Deutschland überhaupt existiert. Seine Existenz in diesem Land wird hinterfragt, obwohl es so viele Beweise und Belege gibt. Jede Person Of Color hat Rassismuserfahrungen gemacht, ob es die Benachteiligung bei der Wohnungssuche oder ein rassistischer Überfall im Supermarkt ist. Wenn die Rede von Rassismus ist, erheben weiße Menschen noch viel zu oft ihre Stimme, nehmen zu viel Raum in der Debatte ein, sind im Vordergrund und weigern sich den Betroffenen zuzuhören. Der Punkt ist, dass die Bekämpfung von Rassismus nur möglich ist, wenn uns Betroffenen eine Stimme gegeben, uns geglaubt wird und alle offen für eine gute Veränderung sind.

Es ist an der Zeit, dass sich nicht nur betroffene Menschen mit Rassismus auseinandersetzten, sondern auch Nicht-Betroffene, also weiße Menschen. Es ist wichtig dass sich alle Menschen mit ihm auseinandersetzen und ihn entlernen. Er wurde uns nämlich seit der Geburt beigebracht, da er sich in unseren Kinderbüchern, in Werbeclips und Filmen, in unseren Schulbüchern und in den Köpfen der Gesellschaft befindet. Journalist*innen wie Aminata Belli, Alice Hasters, der Antirassismus-Trainerin Tupoka Ogette und der Politkerin Aminta Touré muss viel mehr zugehört werden. Auch vielen anderen, die ich jetzt nicht genannt habe, aber die auch unglaubliche Arbeit leisten. Es muss auch denen zugehört werden, die noch keine Chance hatten ihre Arbeit zu verbreiten. Anti-Rassismusbücher müssen zur Pflichtlektüre in der Schule werden und Schwarze Menschen dürfen nicht mehr als homogene Gesellschaft anerkannt werden, welche nur eine Meinung vertreten.

Es ist falsch zu sagen, dass man keine Hautfarben sieht und alle Menschen für einen gleich sind! Ich möchte, dass meine Hautfarbe gesehen und erkannt wird, welche Nachteile sie mit sich bringt und welche Vorteile die weiße Hautfarbe hat. Außerdem möchte ich, dass Weiße dazu beitragen dies zu ändern. Privilegien, die dabei helfen können, sollten genutzt werden und andere Privilegien gleichzeitig abgelegt werden. Ein Privileg, welches weiße Menschen direkt ablegen sollten, ist die Wahl sich nur dann mit Rassismus auseinander zusetzen, wenn man dazu Lust hat. Vielleicht sind für einen alle Menschen gleich, jedoch ist die Wahrheit, dass nicht alle gleich behandelt werden.

Ich verstehe nicht, warum so viele weiße Menschen nicht mit Selbstbezeichnungen wie Schwarz, Person of Color, afrodeutsch, lightskinned, darkskinned... klarkommen. Wieso hängen so viele weiße Deutsche an dem N-Wort und wollen einfach nicht aufhören es zu benutzen oder bezeichnen Menschen mit schwarzer Hautfarbe immer noch als dunkelhäutig, farbig, Mischling…? Wieso gehören Wörter wie rassig oder exotisch immer noch zum Alltagssprachgebrauch? Ist es einfach Ungewissheit oder Sturheit? Sprache ist Gewalt und vor allem das N-Wort hat eine grauenhafte Geschichte, die schrecklich bleibt, egal in welchem Zusammenhang eine weiße Person, dass Wort ausspricht. Das Argument, dass es damals als normal galt, gilt nicht, da Menschen damals mit diesem Wort auch schon diskriminiert wurden, jedoch nicht genug Mitspracherecht hatten, sich gegen dieses Wort zu wehren.

Meiner Meinung nach sollten sich weiße Menschen nicht angegriffen fühlen, wenn People Of Color sie darauf aufmerksam machen, dass sie sich rassistisch benehmen. Rassistisch heißt nicht, dass man „der größte Rassist“ oder ein Nazi ist. Weiße Menschen neigen dazu, es als die größte Beleidigung zu sehen, es fließen manchmal sogar Tränen oder sie verhalten sich aggressiv. Stattdessen sollte es als ein legitimer Kritikpunkt und eine Hilfe zur Selbstreflektion angesehen werden. Die richtige Reaktion wäre es sich zu entschuldigen, sein Verhalten zu hinterfragen und alles dafür zu tun, dass es nicht noch einmal passiert.

Weiße Menschen sollten auch etwas dagegen sagen, wenn sie Rassismus mitbekommen. Wenn sie eine Situation mitkriegen, in der eine Person rassistisch behandelt wird, sollten sie solange die Person nicht in Lebensgefahr scheint, erst einmal die betroffene Person fragen, ob sie Hilfe benötigt. Ein ungefragtes Einmischen kann nämlich schnell übergriffig sein und die Situation zum Eskalieren bringen. Gar nichts machen, hat aber auch negative Auswirkungen. Weiße sollten Helfer*innen, im englischen Allies sein. Nicht rassistisch zu sein, reicht nicht, da wie schon gesagt, wir alle von Geburt an Rassismus erlernt haben, ob wir es wollen oder nicht. Es ist aber möglich nicht rassistisch sein zu wollen und anti-rassistisch zu sein.

 In der Schule müsste viel über Rassismus gesprochen werden. Lehrer sollten von Schwarzen Experten fortgebildet werden, denn nur so kann meine Generation es eines Tages besser machen. Aber zurzeit kann wahrscheinlich jeder Schwarzer Schüler, jede Schwarze Schülerin mehrere Rassismuserfahrungen aufzählen, von Lehrer*innen, Eltern anderer Kinder und von Mitschüler*innen.

Es ist gefährlich wie wenig wir über die Kolonialisierung lernen und wie sie sogar gut geredet wird. Somit bekommen wir Schüler*innen ein ganz anderes, harmloses Bild von dem, was damals in der Zeit alles Schreckliches passiert ist. Es muss über die Getöteten, wie viele es waren und wer sie getötet hat, gesprochen werden. Auch auf die Ausbeutung der Länder und die Versklavung muss aufmerksam gemacht werden. Deutsch- und Geschichtslehrer*innen müssen eine reflektierte Sprache verwenden, und darauf achten, dass sie nicht rassistisch oder diskriminierend ist. In der Philosophie muss auch darüber geredet werden, wie rassistisch die großen Philosophen, zum Beispiel Kant, eigentlich waren.

 Ich finde die große mediale Präsenz von der Auseinandersetzung zwar gut, jedoch macht es mich etwas wütend, dass sie so spät erfolgt. Seit Jahrzehnten gibt es rassistisch-motivierte Anschläge in unserem Land und auch Anfang dieses Jahres nach dem Anschlag in Hanau wurde nicht genug über das Rassismusproblem in Deutschland gesprochen. Weder in den Medien, der Schule noch in Haushalten weißer Deutschen.

Jetzt finde ich, dass in den Diskussionen im Fernsehen Rassismus reproduziert wird, auch wenn eigentlich das Gegenteil gewollt ist. Die unreflektierte Sprachwahl der Moderator*innen und die Aussagen von Mitdiskutierenden kann Afrodeutsche und andere Betroffene sehr schnell triggern. Die Rede ist von Fremdenhass, obwohl die Menschen die von diesem sogenannten Fremdenhass betroffen sind, oftmals deutsche Staatsbürger mit Wurzeln aus anderen Ländern sind. Also sind sie nicht fremd. Also sind WIR nicht fremd.

Meine Gedanken zu den Protesten in Deutschland sind gespalten. Ich fand es sehr stärkend so viele Menschen, vor allem Schwarze Menschen in Deutschland auf den Straßen zu sehen. Ich bin glücklich über die anderen People of Color und weißen Menschen, die friedlich mitdemonstriert haben, und den Schwarzen Menschen zugehört haben. Jedoch fand ich es erschreckend, wie viele weiße Menschen mit Dreads und Braids auf der anti-rassisitischen Demo waren. Es ist falsch sich als anti-rassistisch auszugeben und dann gleichzeitig kulturelle Aneignung zu betreiben. Natürlich weiß ich, dass kulturelle Aneignung ein kleines Problem im Gegensatz zur Polizeigewalt ist, jedoch ist es als Einzelperson auch sehr leicht aufzuhören sich Frisuren, wegen denen andere Menschen diskriminiert wurden und werden, anzueignen. Ein paar weiße Menschen, ich betone ein paar, nutzten die Situation um Krawall zu machen oder sich zu betrinken. Das ist respektlos und absolut nicht hilfreich zur Bekämpfung von Rassismus.

 Ich habe versucht einen kleinen Bruchteil meiner Meinung zur Aufarbeitung von Rassismus zu schildern. Es ist ein sehr komplexes Thema, deswegen spreche ich von einem Bruchteil. Schwarzen Menschen wird noch viel zu wenig zugehört, Rassismus entweder verschwiegen, legitimiert oder verneint. Es ist ein sehr langer Weg zur einer Verbesserung und zur Zeit läuft die weiße Gesellschaft noch auf der Stelle. Für uns ist es frustrierend, dass es sich nicht voranbewegt und wir immer und immer wieder rassistisch behandelt oder beleidigt werden. Und an alle die sagen, dass Deutschland kein Rassismusproblem hat: Lest Bücher und reflektiert euch! Und an alle die sagen, dass in Deutschland keine Polizeigewalt gegenüber Schwarzen existiert: Schaut euch die sozialen Netzwerke an und seht, wie viele Videos mit unschuldigen Schwarzen Menschen, die von der Polizei gewalttätig angegriffen werden, gerade tausendfach geteilt werden. Das sind viele!

 In meinem Artikel spreche ich oft von den Weißen. Mir ist bewusst, dass nicht alle gleich sind und ein kleiner Teil sich jeden Tag weiterbildet und das eigene Verhalten reflektiert. In meinen Artikel spreche ich oft von uns, den Schwarzen, den Afrodeutschen und ich möchte klarstellen, dass es nur meine eigene Meinung ist und nicht jeder schwarzer Mensch in Deutschland meine Meinung teilt.

Bilal Gaidenko – Praktikant bei TopAfric

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