»Black Community fordert lückenlose Aufklärung«

Oloruntoyin Manly-Spain

Afrodeutsch

Hamburg: »Sicherheitskräfte« prügeln Kameruner vor Krankenhaus ins Koma. Ein Gespräch mit Oloruntoyin Manly-Spain

Seit vergangenem Sonntag liegt ein Patient aus Kamerun auf der Intensivstation des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg nach einem Übergriff im Koma. Was ist passiert?

Mehrere Patienten des Krankenhauses beschreiben den Vorfall übereinstimmend (Augenzeugenberichte wurden auf Facebook und Twitter veröffentlicht, jW). Demzufolge sollen Security-Mitarbeiter Herrn Tonou-Mbobda vor der Tür des Klinikums solange am Boden fixiert und getreten haben, bis er bewusstlos wurde. Die Augenzeugen beschreiben, dass er sich geweigert habe, ihm verschriebene Medikamente zu nehmen. Dazu muss man wissen, dass Tonou-Mbobda sich freiwillig auf der offenen Station der Psychiatrie befand. Als er diese verließ, um frische Luft zu schnappen, seien Pfleger und Securities gekommen, heißt es weiter. Letztere hätten ihn zu Boden geworfen und getreten. Schließlich sei er auf die Intensivstation gebracht worden. Dort liegt er in einem induzierten Koma. Verwandte wurden vom medizinischen Personal informiert, dass sein Zustand weiterhin kritisch sei und die Überlebenschancen sehr begrenzt seien.

Welche Konsequenzen müssen aus Ihrer Sicht nun folgen?

Wir als Vertreter der Black Community in Hamburg fordern eine lückenlose Aufklärung des Falls. Neben den verfassungsmäßigen Rechten auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit ist gesetzlich definiert, dass eine Zwangsbehandlung oder Fixierung gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen nur mit richterlicher Anordnung geschehen darf. Sicherheitsleute dürfen Patienten ohne eine ­solche überhaupt nicht anfassen. Es darf nicht sein, dass Menschen in einer Institution, in der sie Schutz suchen, Gewalt ausgesetzt sind.

Handelt es sich um einen Einzelfall?

Nein. Wir sind entsetzt darüber, dass es immer wieder Berichte über Gewalt gegen Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen in Psychiatrien gibt. Unsere Black Community sieht in dem jetzigen Vorfall nur die Spitze des Eisbergs von rassistischen Übergriffen, die wir alle alltäglich erleben, auch in Krankenhäusern. Er ist Ausdruck eines strukturellen Rassismus, der in Strafverfolgungsbehörden und anderen Institutionen, aber auch in der Gesellschaft insgesamt zu beobachten ist. Gewalttätige Begegnungen finden viel zu oft statt und spiegeln die rassistische Wahrnehmung wider, Schwarze seien aggressiv, weswegen man ihnen wiederum mit Gewalt begegnen müsse, unabhängig von äußeren Umständen oder persönlichen Situationen.

Verlangt nach Antworten und Konsequenzen: Oloruntoyin Manly Spain

Gibt es einen Ausweg aus dieser Lage?

Im konkreten Fall muss das Universitätsklinikum gegenüber den Patienten und der Gesellschaft Rechenschaft ablegen. Wir erwarten, dass in der medizinischen Ausbildung eine Auseinandersetzung mit Rassismus und der Kolonialgeschichte stattfindet. Es wäre zudem gut, wenn in Krankenhäusern mehr »People of African Descent« arbeiten und im Alltagsbetrieb nicht repressive, gewaltfreie Methoden angewandt werden würden. Im allgemeinen verstärken Leugnen und das Versäumnis, sich mit strukturellem Rassismus zu beschäftigen, die Situation. Ein besonderes Problem ist, dass Migranten immer wieder gezwungen sind, sich und ihre Erfahrungen zu verteidigen. Häufig wird in Frage gestellt, dass Angriffe auf sie überhaupt rassistisch motiviert waren.

Was erhoffen Sie sich als Reaktion auf den jetzigen Vorfall?

Wenn man Fälle wie Achidi John, Yaya Jabi, Amad A. und Oury Jalloh betrachtet, bei denen die Wahrheit manipuliert wurde, dann können Zweifel aufkommen. Dieser Vorfall ist für die Öffentlichkeit vor allem aufgrund des Muts der Patienten, sich zu äußern, sichtbar geworden. Sie haben sofort die Polizei gerufen und eine Beschwerde eingereicht. Das ist ein Beispiel gelebter Solidarität. Genau diesen Mut brauchen wir, um Wahrheit und Gerechtigkeit durchsetzen zu können. Ich hoffe, dass Menschen sich daran ein Beispiel nehmen und der Familie und Tonou-Mbobda zu Gerechtigkeit verhelfen.

 Source: JungeWelt