Sie sind Deutsch? Ja, klar. Afro-Deutsch

Afrodeutsch

Theodor Wonja Michael sitzt in seinem Arbeitszimmer zwischen überfüllten Bücherregalen und afrikanischen Holzfiguren. Michael ist Deutscher. Afro-Deutscher. Doch sein Deutschsein wird immer wieder in Frage gestellt.

Der 84-Jährige mit der Halbglatze streicht sich beim Erzählen über seinen grauen Vollbart. Am Kölner Hauptbahnhof habe ihn mal ein Mann gefragt, was er denn sei. "Ich bin Deutscher", hat er geantwortet. Aber der Mann ließ nicht locker: "Sie sind Deutscher?" - "Ja, natürlich", hat Michael erwidert. "Ja, aber Sie sehen doch gar nicht aus wie ein Deutscher?" Daraufhin konterte Michael: "Entschuldigung, kennen Sie das Grundgesetz? Steht dort drin, wie ein Deutscher auszusehen hat?" Dann ist der Mann beschämt weggegangen.

Weiße Afrikaphantasien

Dass es in Deutschland schon seit Jahrhunderten Schwarze gibt, wollen viele nicht glauben. Gerade in den 1930er und 40er Jahren, erinnert sich der gebürtige Berliner an seine Kindheit, sollten Schwarze weißen Vorstellungen entsprechen. "Jeder bessere Zirkus hielt sich eine Völkerschau. Den Besuchern wurde vorgemacht, wie Exoten sind: afrikanische Tänze, das waren Phantasietänze, und Musik", erzählt Michael und fügt nach einer kurzen Pause kopfschüttelnd hinzu, dass die Menschen eigentlich für dumm verkauft worden seien. Hüttendorfkulissen wurden aufgebaut, vor denen dunkelhäutige Menschen trommelnd weiße Afrikaphantasien erfüllen mussten. Auch Michael trat als Sohn eines Kameruners und einer weißen Deutschen nach dem Tod seiner Eltern in Völkerschauen auf. "Die Rolle, die ich spielen sollte, hat mir nicht gefallen", erzählt Michael. Afrikanische Tänze aufzuführen, zu denen er gar keine Beziehung hatte, oder ein Lied zu singen, dessen Text er nicht verstand, widerstrebte ihm. "Sich für Geld anschauen zu lassen ist eine Erniedrigung."

Doch um im Nationalsozialismus zu überleben, spielte er als Jugendlicher auch als Komparse in Kolonialfilmen wie "Münchhausen" mit. Gehasst hat er diese Rollen als Diener. "In diesen Kolonialfilmen brauchte man ja Exoten. Und diese Exoten waren wir." Die Statistenrollen boten ihm zwar ein wenig Schutz. Trotzdem hatte er bei den Filmdrehs auch Angst, wie viele andere Schwarze ins Konzentrationslager zu kommen. "Mein politisches Bewusstsein begann damals und ich dachte: Auweia. Man hat uns alle hier zusammen, da kann ein Lastwagen kommen und uns alle abtransportieren. Und so gerne, wie wir zusammen gewesen sind, so gefährlich war das", erinnert sich der 84-Jährige. Deshalb hatte er kaum Kontakt mit anderen Afro-Deutschen. Überhaupt hat er so selten wie möglich das Haus verlassen, denn als Schwarzer drohte ihm unter den Nazis die Zwangssterilisation. "Das war das Gefährlichste und deshalb ging man nicht in ein Krankenhaus", sagt Michael.

Als Afro-Deutscher für den Krieg gemustert

Zweimal wurde er für den Krieg gemustert. Aber beim ersten Mal hätten sie ihn gleich wieder weggeschickt, als sie seine Hautfarbe sahen, erinnert sich Michael verschmitzt lächelnd. "Beim zweiten Mal, als man wirklich jeden nahm, der ein Gewehr tragen konnte, bin ich wieder gemustert worden." Vor die Kommission sei er da gekommen. "Und da sagte dann einer: Nee, das können wir nicht machen. Auf jeden Fall kam ich da weg und ich weiß noch, wie ich zur Tür raus kam und dachte: Gott sei Dank!" Doch die Nazis waren durch die Musterung auf ihn aufmerksam geworden und schickten ihn im Jahre 1943 ins Arbeitslager. Er war der einzige Schwarze in dem Rüstungsbetrieb. "Es gibt eine Taktik, die man dann anwendet", erklärt Michael. "Man tut nicht viel, man stellt sich nach Möglichkeit dumm." Michael überlebte.

Aber ohne Ausbildung blieb ihm nach dem Krieg nichts anderes übrig, als wieder mit der Schauspielerei anzufangen, erzählt er und holt aus einem Umschlag alte Fotos heraus, die ihn beim Theaterspielen zeigen. In unzähligen Stücken hat er mitgespielt. In vielen Shakespeare-Inszenierungen zum Beispiel, in einem Stück über Martin Luther King, oder in "Miss Daisy und ihr Chauffeur". "Seit 60 Jahren stehe ich nun auf der Bühne", resümiert Michael lächelnd und nicht ohne Stolz. Dazu hat er noch Wirtschaft und Politik studiert und unter anderem als Chefredakteur des "Afrika Bulletins" gearbeitet.

Auch wenn er in Deutschland aufgewachsen ist, war Afrika immer ein Teil von ihm. "Ich habe mich seit der Kindheit mit Afrika beschäftigt. Mein Vater hat vorm Schlafengehen immer viele Geschichten aus afrikanischen Märchen erzählt." In den 1960er Jahren ist Michael dann schließlich selber einmal nach Afrika gereist und hat auch den Geburtsort seines Vaters in Kamerun besucht. "Das war herrlich", erinnert sich Theodor Michael und blickt aus dem Fenster auf den kleinen Garten seines Kölner Reihenhauses. Hat ihn das gestärkt? "Nein", erwidert er. "Ich habe immer gewusst, was ich bin. Deutsch. Afro-Deutsch."

Jana Pareigis

Redaktion: Katrin Ogunsade